Bingen am Rhein
  Die Brückenkapelle in der Drususbrücke
 
                   

Brücken haben im Mündungsgebiet der Nahe eine lange Tradition. Die erste entstand im Jahrzehnt vor Christi Geburt. Drusus befestigte zu dieser Zeit die linksrheinische Grenze des römischen Reiches durch den Bau von Befestigungsanlagen und ließ eine Holzbrücke über die Nahe bauen.

Nach ihrer Zerstörung 70 n. Chr. folgte die erste Steinbrücke, die den Normannen um 891 zum Opfer fiel. Erst Erzbischof Willigis errichtete gut hundert Jahre später eine neue Steinbrücke über die Nahe.

In dieser Brücke wurde im östlichen Brückenpfeiler eine kleine frühromanische Brückenkapelle aus dem Ufergestein der Nahe herausgehauen, um die Brücke dem Schutz der Kirche anzuvertrauen.



1689 von den Franzosen zerstört, wurde sie abermals 1772 aufgebaut. Im März 1945 sprengte ein Spezialkommando den Brückenbogen vor den anrückenden Truppen der Alliierten. Heute prägt die Drususbrücke wieder das Binger Stadtbild.

Dies ist die Innenansicht der Brückenkapelle

                                           


                      

                       

Die Menschen des Mittelalters deuteten jedes Ding und Geschehen von einer Allordnung her. Auch die Brücken nahmen dabei über das Nützlich-Profane hinaus zugleich eine religiöse Funktion ein. Die Kirche betreute die steineren Monumente der Flussübergänge und stellte sie unter die Obhut Gottes und fürbittender Heiligen. Dieser sakrale ,,Rang" war geeignet, der Brücke auch im Weltlichen einen gewissen Schutz zu sichern. Viele Brücken im alten Europa trugen eine Andachtsstätte, z. B. in Florenz, in Avignon, in Kassel, Limburg, Marburg, Dresden. In vielfältiger Form- als Aufbauten oder im ersten oder mittleren Brückenpfeiler- unterstrichen sie die religiöse Grundhaltung: Segen und Hilfe, von oben erbeten, sollten unten, beim Übergang zu einem neuen, oft unbekannten Ufer mit seinen Gefahren wirken. So diente die kleine Brückenkapelle in der Nahebrücke, vermutlich von deren Erbauung an, in Jahrhunderten den Reisenden als ein geistig-seelischer Ruhepunkt. Fuhrleute und Kaufleute, Handwerker und Händler, Vaganten, Pilger und Soldaten suchten sie in der Harmonie des Glaubens und des lebens auf: zum persönlichen Gebet oder zum gemeinsamen Gottesdienst beim Aufbruch zur Tagesfahrt.
Auch im kirchlichen Kreislauf der Stadt hatte die Kapelle ihre Bedeutung.Als Kulturdenkmal trägt das bescheidene Zeugnis mittelalterlicher Herkunft alle Merkmale einer geschichtlich abgeschlossenen Epoche.

Hier ein paar  Bilder von Grundrissen der Kapelle

 
   


   

Technische Daten und kunstgeschichtliche Hinweise
Die Binger Brückenkapelle hebt sich durch eine Besonderheit von anderen bekannten Bauwerken dieser Art ab: Sie ist aus dem Schiefergestein des Ufers auf der rechten Naheseite herausgehauen und liegt in der Achse der Brücke (im Langbogen) 4,50m unter der Strassen-Oberfläche.
Von der Saarlandstrasse aus ist die romanische Kapelle über einen neuangelegten Betonvorkammer und fünf Stufendurch einen südlich gelegenen Eingang (mitRundbogen, etwa 1,70m Höhe) zu erreichen.


Forschende Wissenschaftler mehrerer Generationen lieferten, fast übereinstimment, folgende Daten und Hinweise:
Kleiner viereckiger Bau, der dennoch wuchtig wirkt. Seitenlänge 3,70m und 3,50m.
Das Innere ist in sauberen, mit dem Hammer gerichteten Bruchsteinmauerwerk mit altertümlich breiten Mörtelfugen ausgeführt. Ein halbkreisförmiges Kreuzgewölbe, dessen Scheitel 28cm überhöht ist, überdeckt den Raum. Schildbogen, legt sich ein oben stärker werdender Spittel, so daß das darauf ruhende Gewölbe in seinem Anschluss an die Wand überhöte Bogenform hat.

Ostwärts, in der Brückenachse zur Saarlandstrasse hin, befindet sich eine fensterlose halbkreisförmige Apsis von 1,25m Tiefe (mit einer Stufe für den Altar), die ein kegelgewölbe von 2,95m Spannweite trägt.
Spuren einstiger Fensterkonstruktionen sind zu erkenne. Das Gewölbe (1,50m unter der Fahrbahn) wurde 1951/52 zusätzlich mit einer Betondecke abgeschirmt und gegen Beschädigungen durch schwere Lastfahrzeuge geschützt.
Die schnelle Nahe hatt´ ich überschritten-
Nebel lag noch auf der Flut-,
voll Staunen über die neuen Mauern,
die an das alte Bingen angebaut...
Decimus Magnus Ausonius
(um 310-393/94 n. Chr.)




Bei Bingen gehen die Weiten der Oberrheinischen Tiefebene und die Höhen des Rheinischen Mittelgebirges ineinander über. An einer geographisch vorgegebenen Stelle müssen hier die Verkehrsadern die Nahe überbrücken. Vor dem Rheinknie, an der Nahemündung, gabelte sich im Verbund der Römischen Reichsfernstrassen die dominierende Lienie aus dem Süden (Alpenübergänge, Rhonetal) in Richtung Trier-Tongeren und Köln sowie in abgezweigte Wege nach Kreuznach und Worms. Als Rückhalt des Limes hatte die Rheintalstrasse 50 Kastelle auf dem linken Ufer des Stroms zu verbinden. In spätantiker Literatur leitete der lateinische Poet Ausonius in der ,,Mosella", 371 geschrieben, den Bericht einer Reise vom Rhein über den Hunsrück zur Mosel anschaulich mit einem Blick auf die Nahe und Bingen ein.

   

Die Drususbrücke in Bingen, von 989 an wahrscheinlich an der Stelle- oder in unmittelbarer Nähe- des zerstörten einstigen Römischen Naheüberganges entstanden, ist die älteste erhaltene Steinbrücke Deutschlands. Willigis, ihr Erbauer, war von 975 bis 1011 Erzbischof von Mainz und Erzkanzler des Reiches. Dieser Kirchenfürst und Staatsmann erhielt auf dem Veroneser Reichstag 983 Reichsland am oberen Mittelrhein- mit Bingen als Mittelpunkt- zugewiesen. Als erster Landesherr des Binger Landes baute er diesen Landstrich zu einem Grundstock des späteren Mainzer Kurstaates aus. Mit der in angemessener Distanz vom Rhein errichteten und vor allem gegen dessen Hochwasser geschützten Nahebrücke in Bingen verklammerte Willigis seine kirchlichen und weltlichen Bereiche auf beiden Naheufern- im Gau und im Wald.

1689, als die Strategie Louvois´ vor Frankreichs Grenzen rigoros die Lande am Rhein- und damit auch Bingen- zerstören liess, wurde die Nahebrücke ebenfalls vom Krieg gezeichnet. Erst 1772 konnten die ihr zugefügten Schäden behoben werden.

Im März 1945, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges, wurden vor der Aufgabe des linken Rheinufers erneut Bogen der Drususbrücke sinnlos gesprengt. Nach Provisorien erhielt sie 1951/52, in der Verkehrsfläche leicht erweitert, aus und mit der in Fundamenten und Pfeilern überkommenen baulichen Substanz ihr jetziges Aussehen.